Die Tradition der ulmischen Donauschifffahrt
Die Donau wird bei Ulm durch den Zufluss von Iller und Blau schiffbar. Trotz ihrer Tücken war sie immer noch leichter zu befahren als die unsicheren Straßen. Daher wurden spätestens seit dem 12. Jahrhundert von Ulm aus Personen und Waren auf der Donau flussabwärts befördert. Dies geschah damals noch auf Flößen.
Das änderte sich im 16. Jahrhundert angesichts einer Verknappung der Holzbestände. Die veranlasste auch die Ulmer, sich nach einer ressourcensparenden Alternative zu den Flößen umzuschauen. Weinhändler aus der Fischerzunft holten daher aus Ingolstadt, Deggendorf und Windorf im heutigen Landkreis Passau Schiffbauer nach Ulm, wo sie 1570 die ersten großen Transportzillen bauten. Die waren damals schon 22 Meter lang und um die 3 Meter breit.
Die Schiffbauer wurden „Schopper“ genannt – nach der Technik, die Fugen zwischen den Schiffsplanken mit Moos zu dichten oder zu „schoppen“, wie der Fachausdruck lautet. Der Ort am rechten Donauufer, wo sie ihr Handwerk trieben, hieß daher „Schopperplätze“. Dort verrät heute ein Schild die Entfernung zur Donaumündung am Schwarzen Meer: 2586 Kilometer.
In Ulm heißen diese Wasserfahrzeuge nach ihrem Zielort „Wiener Zillen“ oder, seit sie 1712 regelmäßig nach Wien fuhren, „Ordinarischiffe“ – „ordinari“ bedeutet „fahrplanmäßig“. Heute nennt man sie bekanntlich „Ulmer Schachteln“. Das aber war ursprünglich eine despektierliche Bezeichnung, die im Stuttgarter Landtag erfunden worden sein soll, um die ulmische Donauschifffahrt herabzuwürdigen.
An Bord waren normalerweise etwa 40 Personen, doch mitunter auch mehr, etwa auf den Auswanderer-Schiffen, die mit 100 bis 250 Personen nach Ungarn zogen. Der erste bekannte große Auswandererzug startete 1712 von Ulm donauabwärts in das von den Türken befreite Ungarn. 1786 bestiegen in drei Monaten um 3000 Emigranten in Ulm die Schiffe.
Auch Truppentransporte fanden auf der Donau statt. 1667 nahmen Ulmer Schiffleute erstmals ein schwäbisches Kreiskontingent von 2500 Mann an Bord ihrer Schiffe und Flöße, das nach Ungarn gegen die Türken zog, ebenso wie die Truppen, die 1683 und 1684 in Ulm eingeschifft wurden. Der Truppentransport, den 1758 der Herzog von Württemberg auf den Wasserweg brachte, umfasste 6000 Mann, 150 Pferde, 226 Wagen auf 57 Schiffen und 70 Flößen. Friedlicher war die Flotte der 34 Schiffe, die 1745 das Kaiserpaar Franz I. und Maria Theresia samt Gefolge auf der Rückreise von der Krönung in Frankfurt sicher nach Wien brachte.
Mindestens so wichtig wie der Personentransport war der Warenverkehr donauabwärts. Die Fracht änderte sich im Lauf der Jahrhunderte. Eine tragende Rolle spielte zunächst der Wein. Auch Schnecken, Ulmer Leinwand, Erzeugnisse der Ulmer Wollweber, Birnenschnitze, Hutzeln, Rüben, Ulmer Spielkarten und Oblaten waren frühe Export-Schlager. Im 19. Jahrhundert waren es französische Weine, junge Bäume, Leder, Käse, Farbstoff, Feuersteine, Gras- und Kleesamen, hölzerne Uhren und andere „Güter des westlichen Europa“, die so ihren Weg nach Österreich, Ungarn, Polen, Russland und in die Türkei fanden. Zum Schluss bestand die Hauptfracht aus Asphalt für den Straßenbau in den großen Donaustädten, vor allem für Budapest.
Der Konkurrenz der Eisenbahn konnte die Donauschifffahrt auf Dauer nicht trotzen. Und so legte 1897 die letzte gewerbliche Wiener Zille in Ulm ab. Eine neue, touristische Art der Schachtelfahrten entstand kurz danach, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Daraus ist die Gesellschaft der Donaufreunde hervorgegangen, deren Tradition bis 1914 zurückreicht.